Äthiopien: Die Frauen des Dorfes können nun Wasser am neu gebauten Brunnen holen und ersparen sich weite Fußwege.

MERIAM: vorausschauende humanitäre Hilfe

Warum hungern Menschen? Die Antworten auf diese einfache Frage werden zunehmend komplexer. Verschiedene Faktoren wie Vertreibung, Katastrophen und der Klimawandel verschärfen humanitäre Krisen. In unserer evidenzbasierten Projektarbeit gehen wir der Frage nach, wie wir mit innovativen Ansätzen und Methoden möglichst viele Menschen vor Hunger und Not schützen können. Dazu gehört auch die Entwicklung neuartiger Ansätze, um die Gefahr von Hungerkrisen frühzeitig erkennen und lindern zu können. Eines unserer Projekte heißt MERIAM (Modelling Early Risk Indicators to Anticipate Malnutrition), die deutsche Übersetzung lautet: Modellierung von Frühwarnindikatoren zur Voraussicht von Mangelernährung.

Bedarf für humanitäre Hilfe steigt

In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen, rasant gestiegen. Schätzungen der Vereinten Nationen zufolge benötigen derzeit rund 300 Millionen Menschen humanitäre Hilfe. Unter anderem sind 258 Millionen Menschen von akutem Hunger bedroht. Wegen fehlender finanzieller Mittel oder zu langwieriger Planungsprozesse von humanitären Organisationen kommt die Unterstützung jedoch lange nicht bei allen betroffenen Menschen an.

Äthiopien: Eine Frau steht neben ihrem durstigen Rind. Die Dürre lässt Wasserquellen versiegen und entzieht den Gemeinschaften die Lebensgrundlagen.
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Äthiopien: Darmi Doyo steht neben ihrem verdurstenden Rind. Nutztiere sind hier ein wichtiger Bestandteil der Lebensgrundlagen vieler Familien. Die langanhaltenden Dürren und Heuschreckenplagen zerstören Weideherden – damit steigt die Gefahr für Hunger und Mangelernährung. „Das Klima verändert sich. Wir können das Wetter nicht wie früher vorhersehen, um zu entscheiden, wo wir unser Vieh weiden lassen und wann wir unsere Felder bestellen,” erzählt Darmi.

Handeln, bevor eine Katastrophe eintritt

Wie können wir auf dieses Problem reagieren? Ein Grundpfeiler unserer Arbeit als Hilfsorganisation ist vorausschauende humanitäre Hilfe: Wir versuchen, so früh wie möglich zu erkennen, wo eine Notsituation entstehen könnte, um Gefahren frühzeitig entgegenzuwirken, negative Auswirkungen soweit wie möglich einzuschränken und auf entstehende Bedürfnisse so schnell wie möglich zu reagieren. Dazu braucht es ein Zusammenspiel aus Frühwarnsystemen, Risikoanalysen, jeder Menge Daten – und die enge Zusammenarbeit mit anderen humanitären Akteur*innen, Forscher*innen, Regierungen, lokalen Gemeinschaften und Finanzinstitutionen. Genau das leistet unser Projekt MERIAM.

„Wir brauchen einen grundlegenden Wandel im humanitären System: Anstatt auf Katastrophen zu reagieren, müssen wir unsere Interventionen präventiv und proaktiv planen. Genau da setzt MERIAM an, indem es vorausschauende humanitäre Hilfe möglich macht.“

Debora Gonzalez
Debora Gonzalez, Referentin für vorausschauende humanitäre Hilfe

Was ist vorausschauende humanitäre Hilfe?

Vorausschauende humanitäre Hilfe bedeutet, dass bereits im Vorfeld einer vorhergesehenen Gefahr gehandelt wird, um akute humanitäre Auswirkungen zu verhindern oder abzumildern. Werden bestimmte, vorher festgelegte Triggerpunkte (wie zum Beispiel Anzeichen auf eine drohende Hungersnot aufgrund von Dürre) überschritten, werden Maßnahmen eingeleitet, um das Eintreten der Katastrophe abzuwenden. Zu diesen Maßnahmen gehören beispielsweise die Aufstockung und verstärkte Verteilung von humanitären Hilfsgütern, Bargeldhilfen für gefährdete Bevölkerungsgruppen und die Instandsetzung der Wasserversorgung.

Hunger vorhersehen und verhindern

MERIAM ist ein Frühwarnsystem, das humanitären Akteuren ermöglicht, schon frühzeitig Risiken von konflikt- und klimabedingten Schocks sowie anderen Faktoren, die Mangelernährung begünstigen, zu erkennen. Aktion gegen den Hunger hat es gemeinsam mit den Universitäten von Maryland und Minnesota entwickelt, die Finanzierung der momentanen Projektphase trägt zum Großteil das Auswärtige Amt

In der ersten Projektphase von 2017 bis 2021 haben wir zusammen mit den beiden Universitäten sowie dem Graduate Institute of Geneva und der Johns Hopkins University innovative statistische Modelle erstellt, um akute Mangelernährung bei Kleinkindern im Alter von 6 bis 59 Monaten vorherzusehen. Dafür nutzen wir ein komplexes Set aus verschiedenen Daten: Einerseits fließen Informationen zur Gesundheit und Ernährung der Bevölkerung ein, mit denen wir den Zusammenhang zwischen Mangelernährung und demografischen sowie sozioökonomischen Faktoren erkennen können. Außerdem nutzen wir zusätzliche Variablen wie Überschwemmungen, Dürren, Temperaturschwankungen, Konfliktereignisse und Lebensmittelpreise, um den Kontext in die Analyse miteinzubeziehen.

Frühzeitige Risikoeinschätzung durch Wetterereignisse und Konflikte 

Eine kürzlich erschienene wissenschaftliche Publikation, die Forscher*innen des MERIAM Projektes veröffentlicht haben, bestätigt, dass sowohl umweltbedingte Faktoren (wie z.B. geringer Regenfall, hohe Temperaturen und schrumpfende Vegetation) als auch Konflikt wichtige Merkmale für die Früherkennung der Gefahr von akuter Mangelernährung darstellen. Außerdem sind Expert*innen durch MERIAM in der Lage, mit geringen Kosten bis zu 12 Monate im Voraus vorherzusehen, in welchen geografischen Gebieten eines Landes besonders hohe Raten an Mangelernährung unter Kleinkindern zu erwarten sind. Die frühzeitige Erkennung solcher Gefahren ermöglicht vorausschauendes Handeln, um Mangelernährung zu vermeiden.

Diese Grafik zeigt, wie MERIAM durch die Voruassicht von Katastrophen die Intensität und Dauer von humanitären Krisen abmildern kann.
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Das MERIAM-Forschungsteam modelliert Daten, um Zusammenhänge zwischen Risikofaktoren wie z.B. Niederschlag oder Konfliktereignissen und Mangelernährung zu erkennen. Dadurch werden Schwellenwerte definiert, die bei einem Zusammenspiel verschiedener Risikofaktoren als kritisch für die Nahrungssicherheit betrachtet werden. Der Auslöser einer Krise ist jedoch nicht unbedingt punktuell, sondern kann sich über einen längeren Zeitraum entwickeln und zuspitzen. Durch die Prognosen wird frühzeitiges Handeln möglich.

Momentan werden die Forschungsergebnisse in vier Pilotländern getestet und optimiert. In Äthiopien, Kenia, Somalia und im Südsudan wird das Frühwarnsystem in laufende Initiativen zur vorausschauenden humanitären Hilfe integriert. Lässt sich früh genug voraussagen, dass sich in einer bestimmten Region eine Hungerkrise verschärfen wird oder eine Naturkatastrophe eintrifft, können alle relevanten Stellen rechtzeitig alarmiert werden. Sobald bestimmte Schwellenwerte überschritten werden, können notwendige Hilfsmaßnahmen bereits im Voraus genehmigt und schnellstmöglich ausgerollt werden. Organisationen wie Aktion gegen den Hunger können so schneller und früher handeln und im besten Fall Tausende Menschen vor einer Hungersnot bewahren. Um diese Aktivitäten umzusetzen, steht Aktion gegen den Hunger im engen Austausch mit lokalen Partner*innen.

1. MÄRZ 2024
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