Leben nach dem IS: Psychologische Hilfe zwingend erforderlich

Im Jahr 2014 begann der selbsternannte Islamische Staat (IS) eine Großoffensive, um ein grenzüberschreitendes Staatsgebilde zu errichten. Innerhalb kurzer Zeit eroberte die Dschihadistengruppe große Teile des Iraks. Auch Mossul wurde damals eingenommen. Heute ist die Stadt wieder unter Kontrolle der irakischen Regierungskräfte. Doch die Jahre der Belagerung haben eine traumatische Stadt hinterlassen.

Seither setzt sich Aktion gegen den Hunger im Irak für Menschen ein, die aus Angst um ihr Leben in ihrem eigenen Land auf der Flucht sind und dringend humanitäre Hilfe benötigen. Unsere HelferInnen versorgen Menschen mit Nahrungsmitteln, sauberem Wasser und Hygieneartikeln und kümmern sich um die psychosoziale Behandlung der vom Krieg betroffenen Menschen.

Lisa Peyre leitet die Abteilung für psychische Gesundheit von Aktion gegen Hunger im Irak. Im Interview haben wir sie gefragt, wie sich die Situation auf die Bevölkerung auswirkt, wie sich Aktion gegen den Hunger für Menschen mit psychosozialen Belastungen einsetzt und was für Auswirkung das alles auf sie selbst hat.

Welche Auswirkung hat die Situation im Irak auf die Psyche der Menschen?

Aus psychologischer Sicht sind die Auswirkung enorm. Einige Menschen haben über zwei Jahre unter der Kontrolle des Islamischen Staates gelebt und erlebten danach die Gewalt in Mossul. Die Rückkehr zu einem normalen Sozialleben ist eine sehr große Herausforderung.
Die Konsequenzen für Frauen, Männer und Kinder, Familien und Gemeinschaften sind gravierend. Es herrscht unvorstellbares Leid. Viele Familien sind getrennt worden, einzelne Familienmitglieder sind in Mossul, andere sind in Lagern oder wurden getötet.

Welche psychologischen Symptome beobachten Sie bei den Menschen?

Wir beobachten ein hohes Maß an Beklemmung, Angstzuständen, Schlafproblemen und Verhaltensänderungen. Wir begegnen Menschen mit Anzeichen von Depressionen, anderen mit Suizidgedanken. Es gab auch einige Fälle von Selbstmord in den Flüchtlingslagern, wenn Depression und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit zu groß wurden.

Maßnahmen zur psychischen Gesundheit sind fester Bestandteil des Programms von Aktion gegen den Hunger. Warum sind diese in Krisenzeiten besonders wichtig?

Im Kontext einer Krise ist psychologische Unterstützung notwendig, weil das Leidensniveau der Bevölkerung sehr hoch ist. Oftmals wissen die Menschen nicht, wie sie mit ihren Symptomen umgehen sollen. Manchmal neigen sie sogar dazu, gewalttätig zu werden, was selbstverständlich direkte Auswirkungen auf das Wohlergehen ihrer Familien hat.

Wie geht Aktion gegen den Hunger in Mossul und Umgebung vor, um den Menschen seelischen Beistand zu leisten?

Unsere Strategie ist es, die aus Mossul geflohenen Menschen so schnell wie möglich zu unterstützen. Deshalb arbeiten wir im Khazer Camp – dem ersten Ziel von vielen Vertriebenen. Wir bieten psychologische Unterstützung für Gruppen von Frauen und Männern sowie Jugendlichen und Kindern. Bei Menschen mit besonders schlimmen Angstzuständen gibt es auch Einzelsitzungen. Auch in den Dörfern nördlich von Mossul sind wir aktiv. Wir waren die erste Hilfsorganisation, die in dieser Region aktiv war und haben sozusagen psychologische erste Hilfe angeboten.

Wie vielen Menschen konnte Aktion gegen den Hunger bisher durch seelische Unterstützung helfen?

Seit Beginn unserer Nothilfe im vergangenen November haben mehr als 22.000 Menschen in den Lagern und Dörfern nördlich von Mossul psychologische erste Hilfe erhalten. 7.000 Personen haben an psychologischen Gruppensitzungen teilgenommen, 600 Personen an Einzelsitzungen.

Erzähl uns mehr über die seelische Hilfe im Irak

Unser Hilfsprojekt hat verschiedene Säulen: Zum einen die individuelle psychologische Unterstützung für Menschen mit hohem Stress, die zwischen sieben und acht Sitzungen mit unseren Psychologen beinhalten. Zum anderen Gruppensitzungen für Erwachsene, Jugendliche und Kinder, die je nach Altersgruppe vier und fünf Sitzungen umfassen. Für Schwangere und Mütter mit Kindern unter zwei Jahren haben wir praktische Übungsaktivitäten entwickelt - diese Aktivitäten helfen, den Zusammenhang zwischen Müttern und Kindern zu stärken und die Zeichen von Unterernährung frühzeitig zu erkennen, um sie zu verhindern.

Welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen, um in dieser Krise, Nothilfe leisten zu können?

Die Herausforderungen variieren von Ort zu Ort. In den Lagern ist Hilfe leisten relativ einfach und sicher, aber in den nördlichen Dörfern von Mossul gibt es noch viele Minen. Hier ist es für uns schwierig Zugang zu den Hilfebedürftigen zu erhalten. Eine andere Herausforderung: geeignete Psychologinnen und Psychologen finden. Das Ausmaß der gesellschaftlichen Not ist enorm hoch und es ist schwer, ausgebildetes Personal für eine Behandlung solcher Fälle zu finden.

Gruppentherapie in Flüchtlingscamp

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11. OKTOBER 2017
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