Ein Hirte in Somalia mit einem bepackten Kamel an der Hand führt seine Ziegenherde durch die vertrocknete Landschaft.

Neuer Report: Wie Klimakrise und Konflikte Hunger verschärfen

Wetterextreme durch den fortschreitenden Klimawandel und bewaffnete Konflikte – das sind die Hauptursachen dafür, dass über 173 Millionen Menschen an akutem Hunger leiden. Doch wie genau hängen diese Ursachen zusammen und was passiert, wenn Klimaveränderungen und Konflikte gleichzeitig stattfinden? Die zwei neuen Forschungsberichte „Rapid assessments of the hunger–climate–conflict nexus” von Aktion gegen den Hunger zeigen, wie Gemeinschaften mit der gleichzeitigen Gefährdung durch die Klimakrise und gewaltsame Konflikte umgehen und wie humanitäre Organisationen sie dabei unterstützen können.

Neuer Bericht zu Hunger, Klima & Konflikt

Gemeinsam mit dem Thinktank Overseas Development Institute (ODI) haben wir ein qualitatives Forschungsprojekt in Mali, Südsudan und Somalia durchgeführt. Unsere Leitfragen: Inwiefern verstärken die Folgen des Klimawandels und gewaltsame Konflikte den Hunger? Wie macht sich die Ernährungsunsicherheit im Alltag der betroffenen Menschen bemerkbar und wie gehen sie damit um? Wo kann Aktion gegen den Hunger als humanitäre Organisation ansetzen, um Menschen in Not zu unterstützen und Hunger vorzubeugen?

Mali, Südsudan und Somalia sind drei Beispiele für Länder, in denen Menschen gleichzeitig mit Konflikten zwischen bewaffneten Gruppen sowie aufgrund des Klimawandels immer unregelmäßigeren Regenfällen konfrontiert sind, die zu Dürren oder Überschwemmungen führen. In der Folge sind in diesen drei Ländern über 13 Millionen Menschen unterernährt – das entspricht über einem Viertel ihrer Bevölkerung. In Somalia ist sogar fast die Hälfte der Menschen betroffen.

Unser Forschungsprojekt in Subsahara-Afrika

  • Das Forschungsinstitut ODI führt zwei Studien durch, um klimabedingten Hunger in Konfliktgebieten besser zu verstehen und entsprechende Handlungsansätze für humanitäre Organisationen zu entwickeln.
  • In Mali, Südsudan und Somalia wurden an je drei Standorten insgesamt über 130 Interviews und 50 Fokusgruppengespräche mit betroffenen Menschen in ländlichen Gebieten und Geflüchtetencamps geführt.
  • Der erste Teil konzentriert sich auf die Erfahrungen der betroffenen Menschen, wie das Zusammenspiel von Konflikten und der Klimakrise ihren Alltag beeinflusst. Der zweite Bericht formuliert konkrete Handlungsempfehlungen für den humanitären Sektor.
  • Die beiden Studien werden durch das Auswärtige Amt im Rahmen des Regionalprojekts „Humanitäre Hilfe zur Verbesserung der Ernährungslage in Subsahara Afrika“ finanziert.

Schlechte Sicherheitslage befördert Hunger

In vielen der befragten Gemeinschaften sind bewaffnete Konflikte der direkte Auslöser von Hunger. Dabei sind vor allem diejenigen betroffen, die für ihre Arbeit, den Kauf von Lebensmitteln und den Zugang zu Gesundheitsversorgung auf Transportmöglichkeiten zu Märkten oder in größere Orte angewiesen sind. Aufgrund der Gefährdung durch bewaffnete Gruppen können Befragte in Somalia und Mali beispielsweise nicht mehr ihre Felder bestellen, und vor allem Frauen und Mädchen trauen sich fast nicht mehr aus dem Haus.

„Die Sicherheitslage ist nicht gut, und das wirkt sich vor allem nachts auf alle aus. Frauen und Mädchen können sich nicht weit von ihren Häusern entfernen, und sogar im Haus sind sie nicht sicher.“

Interview in einem Geflüchteten-Camp in Badoa, Somalia

Solche Mobilitätseinschränkungen führen außerdem zu Preissteigerungen bei Lebensmitteln und landwirtschaftlichen Betriebsmitteln wie Saatgut und Dünger, sodass viele ihre Felder und Gärten aufgeben und einen Großteil ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben müssen. Die fehlende lokale Landwirtschaft führt zu geringer Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln in den betroffenen Regionen. Viele der Befragten ernähren sich nur noch einseitig von Grundnahrungsmitteln wie Getreideprodukten oder wilden Pflanzen und haben die Anzahl ihrer täglichen Mahlzeiten reduziert.

„Wir können nicht essen, was wir möchten, denn es gibt keinen Salat, Tomaten, Gurken oder Kartoffeln. Man muss nach Timbuktu oder Bourem-Inaly fahren, aber die Fahrt ist auch sehr teuer.“

Interview in Arnassaye, Mali

Konflikte erschweren langfristige Resilienz

Gewaltsame Konflikte haben langfristig – und auch über das Ende des Konflikts hinaus – negative Folgen für die Ernährungssicherheit. Wenn Menschen von ihren Wohnorten vertrieben werden, können sie sich nicht mehr mit Obst und Gemüse selbst versorgen oder durch Landwirtschaft ein Einkommen erwirtschaften. Auch wenn sie nicht vertrieben werden, müssen Familien oft ihre Rücklagen aufbrauchen, um auf konfliktbedingte Preisanstiege zu reagieren. Ohne die entsprechenden Rücklagen können Missernten nicht ausgeglichen werden.

„Wir haben sehr viele Menschen verloren und während der Kämpfe wurde unser Vieh gestohlen, sodass wir bis heute arm sind. Wir sind weggelaufen, haben unsere Hirse zurückgelassen und sind mit nichts in der Tasche losgegangen.“

Interview in Mankuac, Südsudan

Dabei erschwert die Klimakrise in den drei Ländern zunehmend den Anbau von Lebensmitteln: Die untersuchten Orte in Somalia waren von Dürre betroffen, und in Südsudan und Mali sind Regenfälle immer stärker auf einen kurzen Zeitraum konzentriert, was zu Dürre und Überflutung im Wechsel führt. Oft fehlen verlässliche und zugängliche Wetter- und Klimainformationen für die Landwirt*innen, sodass die Ernten immer häufiger ausbleiben.

So wirken sich Klimakrise und Konflikte auf die Gemeinschaften aus

  • Sowohl Konflikte als auch klimabedingte Wetterschocks hindern ländliche Gemeinschaften daran, eigene Lebensmittel zu produzieren. Durch Mobilitätseinschränkungen und Unsicherheit haben sie kaum Zugang zu Märkten und alternativen Jobmöglichkeiten.
  • Haushalte in prekärer Lage geben bis zu 100 Prozent ihres Einkommens für Essen aus. Die Folge sind weniger Mahlzeiten und schlechtere Nahrungsqualität – und somit die Gefahr, an Mangelernährung zu erkranken.
  • Die Ernährungslage in allen drei untersuchten Ländern ist hoch problematisch – trotzdem werden viele Fälle von Mangelernährung aufgrund des fehlenden Zugangs zu medizinischer Versorgung in ländlichen und konfliktbetroffenen Gebieten nicht erkannt. Eine frühe Diagnose ist jedoch elementar, um den Betroffenen schnell helfen zu können.
  • Frauen sind bei schlechten Sicherheitsbedingungen besonders gefährdet und werden oft zum Ziel von Angriffen. Da sie oft auch die Versorgerinnen der Familien sind, treiben Konflikte und politische Instabilität viele Familien in die Armut.

So können humanitäre Organisationen unterstützen

Die Studienergebnisse zeigen verschiedene Bereiche auf, in denen humanitäre Organisationen ihre Arbeit noch verbessern können. Denn komplexe humanitäre Kontexte wie in Mali, Somalia und Südsudan sind herausfordernd und fordern Flexibilität und kontextbezogene Lösungen. In allen drei Ländern verschärfen die klimatischen Veränderungen und bewaffnete Konflikte die Ernährungsunsicherheit. In Zusammenspiel mit der fragilen Infrastruktur, unzureichender Gesundheitsversorgung und fehlenden finanziellen Mitteln ist es hier sehr herausfordernd, von Hunger und Armut betroffene Bevölkerungsgruppen gut und wirksam zu unterstützen.  

Zuallererst zeigen unsere Analysen, dass es ein noch tieferes Verständnis von Wetterinformationen und langfristigen Klimaveränderungen braucht, damit Frühwarnsysteme bessere Vorhersagen für zukünftige Extremwetterereignisse treffen können. Außerdem muss die Information über kommende Klimaschocks die nötigen Akteure schnell und sicher erreichen, damit aus frühen Warnungen die richtigen Schritte folgen. Auch die betroffenen Gemeinschaften müssen Zugang zu diesen Informationen bekommen.

Ferner zeigen die Studienergebnisse, dass humanitäre Akteure sich noch tiefgehender mit den Hintergründen und Dynamiken der bewaffneten Konflikte auseinandersetzen müssen – einerseits, um aktuelle Entwicklungen gut einschätzen zu können und andererseits, um zur Friedensförderung beizutragen. Die Studie betont zudem, dass bei humanitären Einsätzen noch viel stärker langfristige und nachhaltige Lösungsansätze mitgedacht werden sollten – damit kurzfristige Hilfsmaßnahmen und langfristiger Aufbau von Lebensgrundlagen gut ineinandergreifen.. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der konsequente Einbezug von lokalen Partnern. Bei allen Entscheidungen sollten lokale Partner*innen mit am Tisch sitzen und auf Augenhöhe beteiligt sein. 

Empfehlungen für NGOs    

  • Jeder Kontext braucht eine passgenaue Strategie, die in den Gesamtplan zur Bekämpfung von Hunger und Ernährungsunsicherheit passt.  
  • Die Programme müssen genau an die lokalen Gegebenheiten und Herausforderungen angepasst werden (zum Beispiel an den kontextspezifischen Zusammenhang von Klimafolgen, Konfliktgeschehen und Nahrungsversorgung).
  • Humanitäre Programme brauchen konkrete Problemanalysen und klare Zielsetzungen.  
  • Der Fokus sollte nicht auf (Wetter-)Vorhersagen liegen, sondern auf angemessenen präventiven Maßnahmen, die je nach Risikoeinschätzung und unter Einbezug der lokalen Bevölkerung getroffen werden.  
  • Menschen aus der lokalen Gemeinschaft müssen jederzeit als gleichberechtigte Partner*innen mit am Tisch sitzen.

Hier geht es zum vollständigen ersten Bericht und zu den Zusammenfassungen für Somalia, Südsudan und Mali. Hier können Sie den vollständigen zweiten Bericht sowie eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse beider Berichte lesen.

Eine junge Frau im ländlichen Somalia sitzt an einem offenen Feuer. Die Region ist von einer langanhaltenden Dürre betroffen.

„Rapid assessments of the hunger-climate-conflict nexus“. Zwei Forschungsberichte von Aktion gegen den Hunger und ODI.

Erster Bericht (August 2023)
Zweiter Bericht (März 2024)
27. MÄRZ 2024
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