
Bangladesch kämpft seit langem mit den negativen Auswirkungen des Klimawandels. Während die östlichen Gebiete vor allem während der Regenzeit unter massiven Überschwemmungen leiden, sind die Küstengebiete entlang der Bucht von Bengalen von verheerenden Wirbelstürmen und Sturmfluten betroffen, die die Gemeinden stark gefährden.
Das Land hat zwar durch frühzeitige Maßnahmen wie schnelle Informationsverbreitung erhebliche Fortschritte bei der Rettung von Menschenleben erzielt, doch es bleibt noch viel zu tun. Die derzeitigen Zyklon-Vorhersagemodelle decken nur Zyklone und Sturmfluten ab – sie sagen keine Flutwellen außerhalb der Zyklonzeit voraus.
Um diese Lücke zu schließen, hat Aktion gegen den Hunger zusammen mit seinem lokalen Partner Uttaran und der North South University in Dhaka ein Pilotprojekt namens SURF-IT* ins Leben gerufen. Ziel ist es, ein Vorhersagemodell für Sturmfluten zu entwickeln, das künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen nutzt, um gezielt Frühwarnungen auszugeben und rechtzeitige Maßnahmen zu ermöglichen.
SURF-IT: Neues Denken in der Vorhersage für katastrophengefährdete Gebiete
Satkhira liegt Tausende von Kilometern von Dhaka entfernt und ist eine der am stärksten von klimatischen Schwankungen betroffenen Regionen Bangladeschs. Die Küstengebiete in der Nähe des Golfs von Bengalen werden häufig von verheerenden tropischen Zyklonen und Stürmen heimgesucht. Das Warnsystem für tropische Wirbelstürme alarmiert die Gemeinden über Mobilfunknetze, das Internet und Radiosendungen. Das Frühwarnsystem befindet sich jedoch noch in der Entwicklung, und die Menschen sind weiterhin von Vertreibung, materiellen Verlusten und vielfältigen unsichtbaren Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihr Wohlergehen betroffen.
Die Küstenregion von Satkhira wird durch ein Netz von Deichen unterschiedlicher Größe und Länge geschützt. Diese Bauwerke verbinden Dörfer und Straßen und tragen dazu bei, Hochwasser fernzuhalten. „In Bangladesch bestehen die meisten Deiche aus Erde“, erklärt Nibraz Bahar, Drohnenpilot beim SURF-IT-Projekt. „Diese Deiche wurden zwischen den 1960er und 1980er Jahren gebaut, und alle drei bis vier Jahre sehen wir, wie sie durch Erosion und gelegentliche Brüche beschädigt werden.“ Die Deiche wurden ursprünglich zum Schutz der Überschwemmungsgebiete konzipiert, um Landwirtschaft und Haushalte vor gezeitenspezifischer Flut zu sichern. Allerdings wurden dabei weder starke Fluten wie Sturmfluten, deren Wellen in dieser Region manchmal bis zu 8 Meter hoch reichen, noch bestehende Brüche in den Deichen berücksichtigt.
Sumon Homaun Kabir, Programmmanager bei Aktion gegen den Hunger, erinnert sich an die ersten Diskussionen, die aufgrund dieser Beobachtungen und Erkenntnisse zu dem Projekt führten: „Im Gegensatz zu anderen Initiativen, die sich für den Informationsaustausch und frühzeitiges Handeln auf bestehende Zyklonvorhersagemodelle stützen, zeichnet sich SURF-IT durch einen einzigartigen Ansatz aus. Ziel ist die Entwicklung eines auf künstlicher Intelligenz basierenden Vorhersagemodells für Sturmfluten – ein in Bangladesch völlig neuartiger Ansatz“.
Identifizieren von Schwachstellen durch Drohnenkartierung
Eine der wichtigsten Innovationen des Projekts ist die Entwicklung einer 3D-Karte der Dämme im Untersuchungsgebiet, die schwache und beschädigte Dämme schneller identifiziert. „Ein Damm ist nicht überall gleich – seine Form und Höhe variieren an verschiedenen Stellen”, erklärt Nibraz, der für die Drohnenaufnahmen im Rahmen des SURF-IT-Projekts verantwortlich ist. „Wir arbeiten daran, mit einer LiDAR-Drohne eine 3D-Karte der Böschung zu erstellen. Die Drohne erfasst ein digitales Höhenmodell, das wir in das künstliche Intelligenzsystem einspeisen.“
Mit der Drohne lässt sich eine detaillierte 3D-Karte des gesamten Böschungsbereichs erstellen, die Höhenunterschiede und strukturelle Besonderheiten erfasst. Diese hochauflösende Kartierung hilft dem Team, den Zustand der Böschungen besser zu verstehen und potenzielle Schwachstellen zu identifizieren. „Zusätzlich zur Kartierung führen wir Bodentests an den Dämmen durch, um ihre Festigkeit zu beurteilen. Außerdem verwenden wir Wassersensoren, um die Höhe der kommenden Flutwellen vorherzusagen“, erklärt Nibraz. Das Team sammelt auch Daten zur Wassergeschwindigkeit aus internationalen Dashboards, um die Analyse zu vervollständigen.
Jeder Drohnenflug nimmt etwa 200 Bilder auf und generiert rund 5 Gigabyte an Daten. Alle diese Informationen werden dann an die Forschungsstelle der North South University in Dhaka übertragen, wo sie mithilfe künstlicher Intelligenz verarbeitet und analysiert werden, um die Entwicklung des Vorhersagemodells für Flutwellen zu unterstützen.
Wenn lokales Wissen auf Wissenschaft trifft
Von Beginn des Projekts an war klar, dass die Entwicklung eines effektiven Vorhersagemodells ohne die wertvolle Unterstützung der lokalen Gemeinden nicht möglich sein würde. Sie sind direkt von diesen Katastrophen betroffen und wissen genau, welchen Problemen sie währenddessen und im Anschluss ausgesetzt sind. Für Prof. Jakariya, der am Institut für Umweltwissenschaften und -management der North South University arbeitet, wurde dies zu einer wichtigen Säule der Datenerhebung. „Die Menschen sind seit Generationen mit Klimakatastrophen konfrontiert und haben im Laufe der Zeit bemerkenswertes lokales Wissen entwickelt“, sagt Prof. Jakariya, der Forscher aus verschiedenen Disziplinen für dieses Projekt zusammengebracht hat. „Wir haben mit den Gemeinden gesprochen, um Schwachstellen im Deich zu identifizieren und zu verstehen, warum er so anfällig ist – ob es sich um Wasserdruck oder andere Faktoren handelt. Diese Erkenntnisse stammen direkt von den Menschen vor Ort“, erklärt er. Deshalb arbeiten die Wissenschaftler eng mit humanitären und lokalen Organisationen zusammen, um alle relevanten Daten zu sammeln und sicherzustellen, dass kein kritischer Faktor in der Forschung übersehen wird.
Prof. Jakariya ist von der Bedeutung und dem Potenzial des Projekts überzeugt, das Anfang nächsten Jahres in die Entwurfsphase eintreten soll. „Zu Beginn habe ich vorgeschlagen, maschinelles Lernen zu integrieren, um das Konzept noch leistungsfähiger zu machen, da es ein großes Potenzial bietet. Ich würde dieses Projekt jedoch eher als gemeinschaftsbasierte Wissenschaft bezeichnen, die uns letztendlich dabei helfen wird, ein hochpräzises Warnsystem für lokale Gemeinden zu entwickeln.“
Künstliche Intelligenz ist eine Schlüsselkomponente des Projekts und wird zur Entwicklung eines Algorithmus für maschinelles Lernen verwendet. Der Algorithmus analysiert große Datenmengen aus Sensoren, Drohnen, Bodentests und Flusskartierungen. Nach einer Reihe von Tests und Simulationen soll dieses Pilotprojekt in das nationale Vorhersagesystem integriert werden. Von dort aus wird es in anderen Regionen des Landes eingesetzt, um die Katastrophenvorsorge in größerem Maßstab zu verbessern.
*SURF-IT: Spatial Surge Forecasting Using Artificial Intelligence and Community Knowledge for Inclusive and Transformative Early Actions (finanziert vom FCDO über das International Development Research Centre – IDRC).