Geschäftsführer Jan Sebastian Friedrich-Rust übergibt 30.000 Unterschriften an das Wirtschaftsministerium.

Waffenexporte stoppen: Reaktion des Wirtschaftsministeriums auf Petitionsübergabe

Am 11. März hat Aktion gegen den Hunger die ersten 30.000 Unterschriften der Petition „Jemenkrieg: Waffenexporte stoppen, Hunger beenden!“ an das Wirtschaftsministerium übergeben.

Das sind die Forderungen unserer Petition:

  • Rüstungsexporte an alle Kriegsparteien im Jemen stoppen
  • Exportstopp für Waffensysteme an Saudi-Arabien verlängern und Schlupflöcher für Lieferungen schließen
  • Rüstungsstopp an Kriegsparteien auf europäischer Ebene durchsetzen, um Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht gemeinschaftlich sicherzustellen

Die 30.000 Unterschriften übergab das Team von Aktion gegen den Hunger an zwei Mitarbeiter der Abteilung Bürgerdialog. Unsere Petitionsübergabe wurde von einer Fotoaktion mit Motiven des jemenitischen Street Artist Murad Subay begleitet. Einen ausführlichen Bericht über die Übergabe lesen Sie hier.

Als Reaktion auf die Petitionsübergabe hat uns das Wirtschaftsministerium am 13. März eine Stellungnahme geschickt. Wir waren mit der Antwort nicht zufrieden und haben am 26. März mit einer Antwort an Wirtschaftsminister Peter Altmaier nachgehakt. Diese Stellungnahmen machen wir an dieser Stelle der Allgemeinheit zugänglich.

Geschäftsführer Jan Sebastian Friedrich-Rust hält Rede zur Situation in Jemen.

Hier finden Sie die Stellungnahmen in PDF-Format:

Stellungnahme des Wirtschaftsministeriums vom 13. März 2020
Stellungnahme von Aktion gegen den Hunger vom 26. März 2020

Hier veröffentlichen wir unsere Korrespondenz mit dem Wirtschaftsministerium nach Themen geordnet:

  • Wie antwortet das Wirtschaftsministerium auf unsere Forderungen?

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) schreibt:

„Sehr geehrter Herr Friedrich-Rust, sehr geehrter Herr Saroglou,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 11. März und die 30.000 Unterschriften Ihrer Petition zu Waffenexporten. Gerne antworten wir Ihnen und bitten Sie gleichzeitig, unser Schreiben auch den Unterzeichnern Ihrer Petition zukommen zu lassen. Der Export von Waffen und Rüstungsgütern ist in Deutschland sehr strikt geregelt: Jede Lieferung, die unser Land verlässt, muss zuvor beantragt und genehmigt werden. Dabei wird jeder Einzelfall genau geprüft, alle Aspekte werden berücksichtigt, gewichtet und abgewogen, auch außen-und sicherheitspolitische.
Die gesetzlichen Grundlagen hierfür sind u. a. die Politischen Grundsätze der Bundesregierung aus der Jahr 2000 und der Gemeinsame Standpunkt der Europäischen Union aus dem Jahr 2008.“

Aktion gegen den Hunger schreibt zurück:

Sehr geehrter Herr Bundesminister Altmaier, sehr geehrtes Team Bürgerdialog,

vielen Dank für Ihre Stellungnahme zu unserer Petition „Jemenkrieg: Waffenexporte stoppen, Hunger beenden“. Wie gewünscht, werden wir diese – sowie unsere Antwort darauf – auf unserer Webseite veröffentlichen. Gleichzeitig bedauern wir es, dass Sie kaum auf unsere Forderungen, die mehr als 30.000 Menschen unterstützen, eingehen.

Waffenembargo gegen Saudi-Arabien geht nicht weit genug: In Ihrer Stellungnahme vom 13. März erwähnen Sie mit keinem Wort das von uns geforderte Rüstungsexportverbot an Saudi-Arabien und die anderen Konfliktparteien. In der Zwischenzeit hat der Bundessicherheitsrat getagt und einen Beschluss gefasst: Wir begrüßen es, dass das Exportverbot von Rüstungsexporten an Saudi-Arabien verlängert wurde. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber bei Weitem nicht ausreichend, denn Rüstungsexporte an beteiligte Kriegsparteien bleiben weiterhin erlaubt.

  • Wie wirken sich die Rüstungsexporte auf die Lage im Jemen aus?

Das BMWi schreibt:

„Dabei wird der Beachtung der Menschenrechte bei Rüstungsexportentscheidungen ein besonderes Gewicht beigemessen. Genehmigungen für Exporte nach dem Außenwirtschaftsgesetz kommen beispielsweise nicht in Betracht, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht, z. B. bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen oder bei Verdacht des Missbrauchs des Rüstungsguts zu innerer Repression. Bei ihren Entscheidungen im Rahmen der Ausübung der Exportkontrollpolitik steht die Bundesregierung zudem zu ihren Bündnisverpflichtungen und zu ihrer Verantwortung für die europäische und internationale Sicherheit; dies betrifft insbesondere auch die Frage von Zulieferungen an diese Bündnispartner.“

Wir kritisieren diese Reaktion:

In Ihrer Stellungnahme heißt es, Rüstungsexporte kämen für die Bundesregierung nicht infrage, wenn „die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht, z. B. bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen oder bei Verdacht des Missbrauchs des Rüstungsguts zu innerer Repression.“ Die Bevölkerung im Jemen leidet seit fünf Jahren unter dem bewaffneten Konflikt. Aktuell sind über 24 Millionen Menschen im Jemen dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen, das entspricht rund 85 Prozent der Bevölkerung.

Eine der größten humanitären Katastrophen der Gegenwart: In diesem Fall kann man nicht mehr nur von „innerer Repression“ sprechen, sondern von einem offenen Bürgerkrieg gegen die Zivilbevölkerung. Seit Beginn des Konflikts werden von allen beteiligten Kriegsparteien grundlegende Menschenrechte missachtet. ZivileInfrastruktur wird ins Visier genommen, die Wasser-und Gesundheitsversorgung wurde fast vollständig zerstört. Kinder, Frauen und Männer sterben bei Luftangriffen. Die Bereitstellung von Nahrungsmitteln, Medikamenten und lebenswichtigen Gütern ist durch die See-und Luftblockaden zusätzlich erschwert worden. Die humanitäre Situation im Land ist verheerend: 7 Millionen Menschen im Jemen sind auf Nahrungsmittelunterstützung angewiesen. Über 3 Millionen leiden an akuter Mangelernährung, darunter sind 2 Millionen Kinder.

Wir helfen weiterhin vor Ort: Bezüglich der humanitären Notlage können wir als humanitäre und entwicklungspolitische Organisation, die seit 2012 im Jemen tätig ist, aus erster Hand berichten. Wir sind eine der wenigen internationalen Hilfsorganisationen, die im Jemen noch vor Ort ist und Nothilfe leistet.Wir verteilen Lebensmittel und Essensgutscheine, diagnostizieren Mangelernährung und behandeln akut mangelernährte Kinder in 60 Gesundheitsstationen und durch mobil einsetzbare Teams. Wir versorgen die Menschen mit Trinkwasser und bieten Trainings zu Hygienemaßnahmen an. Im Jahr 2018 haben wir mit unseren Programmen insgesamt 691.739 Menschen erreicht.

  • Warum liefert Deutschland weiterhin an andere beteiligte Konfliktparteien im Jemen?

Das BMWi schreibt:

„Die Bundesregierung setzt sich für Fortschritte im politischen Prozess in Jemen und zwischen den Konfliktparteien ein. Gleichzeitig beobachten wir die Entwicklungen seit Aufkommen des Konflikts genau und berücksichtigen sie im Rahmen unserer Genehmigungspraxis mit den beteiligten Bundesministerien fortlaufend. Der Bitte des von der internationalen Gemeinschaft als legitim anerkannten Staatspräsidenten der Republik Jemen, Abed Rabbo Mansur Hadi, um Unterstützung gegen die Huthi-Rebellen, die vom UN-Sicherheitsrat zur Kenntnis genommen wurde, ist eine größere Gruppe von Staaten unter der Führung Saudi-Arabiens nachgekommen, die sogenannte "Arabische Koalition". Sie agieren somit mit Zustimmung der Regierung in Jemen. Die Beteiligung der jeweiligen Länder an dieser "Arabischen Koalition" erfolgt in sehr unterschiedlicher Art und Weise. Die Bundesregierung berücksichtigt u.a. die vorliegenden Erkenntnisse zur Beteiligung des jeweiligen Empfängerlandes von deutschen Rüstungsgütern am Jemen-Konflikt, als auch die Qualität der zur Ausfuhr beantragten Güter sowie alle verfügbaren Informationen zum gesicherten Endverbleib dieser Güter beim Empfänger. In Abwägung dieser Aspekte wird im Einzelfall entschieden, eine Genehmigung zu erteilen, oder auch nicht.“

Wir kontern:

Die Bundesregierung hat im Jahr 2019 Waffenexporte im Wert von rund 1,1 Milliarden € an am Jemen-Krieg beteiligte Staaten genehmigt. Unter den zehn wichtigsten Empfängerländern des Jahres 2019 befinden sich fünf sogenannte Drittländer. Mit Ägypten – auf Platz 2 –und den Vereinigten Arabischen Emiraten – auf Platz 9 – sind zwei Gründungsmitglieder der von Saudi-Arabien geführten Militärallianz im Jemen-Krieg dabei. Allein das Jemen-Kriegsland Ägypten erhielt Exportgenehmigungen in Höhe von 802 Millionen Euro. Im Jahr 2019 hat die Bundesrepublik ihre gesamten Waffenexporte wieder deutlich gesteigert. Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland weiterhin auf Platz vier der größten Waffenexporteure.

Wir fordern einen Waffenexportstopp gegen alle Jemenkriegsparteien: Um zu garantieren, dass keine deutschen Waffen und Teilsysteme an Menschenrechtsverletzungen und Kriegshandlungen im Jemenkrieg beteiligt sind, muss die Bundesregierung alle beteiligten Parteien in den Waffenexportstopp aufnehmen. Tatsächlich entspricht dies auch der Vereinbarung des Koalitionsvertrags zwischen Union und SPD vom März 2018, mit der sich beide Parteien auferlegt haben, Waffenexporte an die unmittelbar im Jemenkrieg beteiligten Staaten zu unterbinden.

  • Welche rechtlichen Schlupflöcher gibt es durch europäische Kooperationen?

Das schreibt das BMWi:

„Wir haben in Deutschland eines der restriktivsten Rüstungsexportkontrollsysteme weltweit. Gleichzeitig arbeiten wir, hier vor allem der zuständige Außenminister, auf europäischer Ebene kontinuierlich an einem möglichst einheitlichen Vorgehen beim Thema restriktiver Exportgenehmigungspolitik.

Das ist uns zu allgemein. Wir haken nach:

Zu Ihrer Verpflichtung auf europäischer Ebene schreiben Sie in Ihrer Stellungnahme lediglich, dass Sie „auf europäischer Ebene kontinuierlich an einem möglichst einheitlichen Vorgehen beim Thema restriktiver Exportgenehmigungspolitik“ arbeiteten. Dabei wäre es aus unserer Sicht dringend erforderlich, die europäischen Kooperationen und Abkommen zu Rüstungsexporten restriktiver zu gestalten.

Europäische Verträge umgehen nationale Waffenexportkontrolle: Nehmen wir beispielsweise das Deutsch-Französische Rüstungsabkommen vom 23. Oktober 2019. Darin werden bestehende nationale Regelungen zur Ausfuhrkontrolle von Rüstungsgütern umgangen. Mit der darin festgehaltenen De-minimis-Regel erteilen sich beide Länder gegenseitig unverzüglich die Erlaubnis zu Exporten grenzübergreifend gefertigter Rüstungsgüter, solange der Eigenanteil unter zwanzig Prozent des Gesamtwerts liegt und nicht die unmittelbaren Interessen oder nationale Sicherheit der beiden unterzeichnenden Staaten beeinträchtigt werden. Ausgenommen sind eine Reihe von Kriegswaffen, die in einer gemeinsamen Liste aufgeführt werden. Damit wird das Kriegswaffenkontrollgesetz effektiv umgangen und die Endverbleibskontrolle geschwächt. Laut eines von Greenpeace beauftragten Gutachtens der Universität Hamburg verstößt das Abkommen mit Frankreich damit gegen geltendes nationales und internationales Recht.

So gelangen deutsche Waffen doch ins Kriegsgebiet: Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass durch rechtliche Schlupflöcher deutsche Waffen weiterhin in am Jemenkrieg beteiligte Länder gelangen. Ein Beispiel dafür ist das europäische Gemeinschaftsprojekt Eurofighter/Typhoon. Die Kampfflugzeuge werden mit deutschen Komponenten in Großbritannien gefertigt und an die saudische Luftwaffe geliefert. Da Großbritannien kein Waffenembargo gegen Saudi-Arabien ausgesprochen hat, beliefert es die Jemen-Kriegspartei weiterhin mit Waffen. Auf diesem Wege gelangen deutsche Rüstungskomponenten direkt in das Kriegsgebiet. Die saudische Luftwaffe hat zahlreiche Berichten zufolge zivile Infrastruktur im Jemen zerstört.

  • Setzen Sie sich für einen europäischen Waffenexportstopp ein, Herr Altmaier!

Wir fordern abschließend:

Abschließend müssen wir feststellen, dass die momentan geltenden Beschlüsse und Praktiken nicht ausreichen, um Exporte deutscher Waffen an beteiligte Kriegsparteien auszuschließen.

Deutschland hat eine zentrale globale Verantwortung: Wir möchten betonen, dass wir das große und vorbildliche humanitäre Engagement der Bundesregierung zur Kenntnis nehmen und gutheißen. Umso wichtiger ist jedoch eine kohärente deutsche Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik. Wir sehen Deutschland als viertgrößten Waffenexporteur der Welt in einer zentralen Verantwortung.

Deutschland muss eine internationale Vorbildrolle einnehmen: Sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene müssen Sie, Herr Bundesminister Altmaier, sich aktiv dafür einsetzen, die Waffenlieferungen an alle im Jemen beteiligten Kriegsparteien zu stoppen. Nur in diesem Fall wäre die Bundesregierung nicht weiter mitverantwortlich für die aktuell schlimmste humanitäre Krise der Welt. Zudem könnte Deutschland so auf internationaler Ebene eine dringend benötigte Vorbildrolle übernehmen und zu einem Ende des Jemenkrieges aktiv beitragen.

Jan Sebastian Friedrich-Rust
Geschäftsführer von Aktion gegen den Hunger

31. MÄRZ 2020
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