Zerstörtes Gebäude

So dramatisch ist die Lage im Jemen

Im Interview mit Willow Rook, stellvertretende Länderdirektorin für Aktion gegen den Hunger

Willow Rook, stellvertretende Länderdirektorin von Aktion gegen den Hunger im Jemen, erklärt die besonderen Herausforderungen an die humanitäre Arbeit in der Krisenregion und was Deutschland für das Ende des Krieges tun kann.

Wie ist die Lage im Jemen heute, was Hunger und Mangelernährung anbelangt?

Im Jahr 2019 waren rund 15,9 Millionen Menschen im Jemen von schwerer akuter Ernährungsunsicherheit bedroht1. So wie es jetzt gerade aussieht, ist es nicht nur eine Möglichkeit, sondern eine große Wahrscheinlichkeit, dass im Jemen dieses Jahr eine offizielle und landesweite Hungersnot ausgerufen wird.

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Was sind die aktuellen Herausforderungen in der humanitären Hilfe?

Leider ist die humanitäre Hilfe dauerhaft unterfinanziert. Die Vereinten Nationen haben für die von ihr koordinierte Nothilfe 3,85 Milliarden US-Dollar veranschlagt. Internationale Geber haben bisher nur 44 Prozent davon zugesagt.

Die meisten humanitären Hilfsorganisationen— darunter auch wir, mussten teilweise die Unterstützung für Ernährungs-und Gesundheitszentren kürzen. Das führt dazu, dass medizinisches Personal keine Gehälter bekommt und Engpässe bei der medizinischen Versorgung entstehen.

Ende 2020 besuchte ich eines unser Stabilisierungszentren. Wegen der gekürzten finanziellen Unterstützung gab eine Warteliste mit 24 Kindern.

24 Kinder mussten nach Hause geschickt werden, um auf eine lebensrettende Behandlung für ihre Unterernährung zu warten –wobei sich ihr Zustand möglicher Weise verschlechtert und sie sterben müssen.

Die Bedürfnisse des jemenitischen Volkes bleiben chronisch unterversorgt.

Welche Faktoren verursachen die Not im Jemen?

Zu wenig Lebensmittel, unzureichender Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygienemitteln — das sind die Haupttreiber [...], die zur Verschlechterung des Ernährungssituation beitragen.

Der Krieg hat die Wasserinfrastruktur im ganzen Land extrem geschädigt. Gepaart mit der Abhängigkeit von Treibstoff für den Betrieb von Pumpen und Wassersystemen ist der Zugang zu Wasser im ganzen Land äußerst schwierig geworden. Zusätzlich ist das Gesundheitssystem durch zerstörte Einrichtungen und die wirtschaftlichen Herausforderungen stark beeinträchtigt.

Fast alle Länder, in denen viele Menschen in Not und akuter Ernährungsunsicherheit leben, sind von bewaffneten Konflikten betroffen. Im vergangenen Jahr waren weltweit 77 Millionen Menschen aufgrund von Konflikten akutem Hungerausgesetzt.

Hungersnot und Mangelernährung sind heute größtenteils von Menschen verursacht.

Aus humanitärer Sicht: Was muss international passieren, damit sich diese Situation verbessert?

Wegen genau dieses Zusammenhangs von Hunger und Krieg fordert Aktion gegen den Hunger politische Lösungen. Die Resolution 2417 des UN-Sicherheitsrats verurteilt das nach dem humanitären Völkerrecht verbotene Aushungern von Zivilpersonen als Methode der Kriegführung. Auch die Behinderung des humanitären Zugangs wird als rechtswidrig benannt.

Es muss endlich sichergestellt werden, dass Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht, die zu Ernährungsunsicherheit führen, nicht unbestraft bleiben. Die der Resolution zugrundeliegenden Prinzipien müssen praktisch angewandt werden, um konfliktbedingten Hunger zu beenden.

In der Zwischenzeit muss die internationale Gemeinschaft den humanitären Finanzierungsbedarf decken.

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Wie kann Deutschland zu einer politischen Lösung des Jemen-Krieges beitragen?

Wir fordern die Bundesregierung auf, die 2019er-Änderung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zu ratifizieren. Diese Änderung bezieht sich darauf, dass Hunger in nicht-internationalen bewaffneten Konflikten ein Kriegsverbrechen ist.

Gemeinsam mit anderen Stakeholdern muss es die Einbindung der Resolution 2417 in nationales Recht vorantreiben. Dazu gehört auch, dass die Berichterstattungs-und Rechenschaftsmechanismen der UN in Krisenregionen verstärkt werden müssen.

Außerdem muss Deutschland auf den humanitären Aufruf zum Handeln reagieren und einen Arbeitsplan entwickeln, wie die humanitäre Arbeit in Jemen sicher ausgeführt werden kann.

Welche Rolle spielen Waffenexporte?

Der Krieg bleibt der Haupttreiber der anhaltenden Wirtschafts- und Nahrungsmittelkrise im Jemen. Jeder Waffenverkauf an die Konfliktparteien verschlechtert die humanitäre Situation. Waffen schüren den Konflikt und behindern die Aussichten für erfolgreiche politische Friedensverhandlungen. Waffen sind Waffen: Sie haben immer dramatische Konsequenzen. Deshalb fordern wir ein Ende der Waffenexporte an die Konfliktparteien im Jemen. Außerdem muss der neutrale, unabhängige und unparteiische humanitäre Zugang gewährleistet sein. Wir fordern daher alle Regierungen auf, ihre Diplomatie in den Dienst einer politischen Lösung des Konflikts zu stellen und den Schutz der humanitären Hilfe für die Zivilbevölkerung zu priorisieren.

Jetzt Petition unterschreiben: „Jemenkrieg: Waffenexporte stoppen, Hunger beenden!“

1Anmerkung d. Redaktion: Rund 16.2 Millionen Menschen erleben derzeit hohe akute Ernährungsunsicherheit

26. MÄRZ 2021
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