
Was ist RUTF?
Therapeutische Fertignahrung (Ready-to-Use Therapeutic Food, RUTF) ist eine speziell entwickelte Erdnusspaste oder ein Keks, die beziehungsweise der mangelernährte Kinder in nur vier bis acht Wochen von einer Lebensgefährdung zu einer vollständigen Genesung führt. Sie hat eine Erfolgsquote von 90 Prozent in der Heilung von Kindern mit schwerer akuter Mangelernährung (SAM), der tödlichsten Form des Hungers, an der jährlich 400.000 Kinder sterben. Mit dieser medizinischen Nahrung konnten die Programme von Aktion gegen den Hunger allein im Jahr 2023 mindestens 355.000 Kinder mit SAM behandeln.
Internationale Lebensmittelstandards für RUTF stellen sicher, dass jede Einzeldosis-Packung die richtige, evidenzbasierte Kombination von Nährstoffen enthält, um eine Genesung zu ermöglichen. Das Produkt ist nährstoffreich und weich genug, um von einem sechs Monate alten Kind verzehrt werden zu können. Die Rezeptur für RUTF umfasst:
- Milch oder andere Milchprodukte
- Hülsenfrüchte und Samen wie Erdnüsse, Linsen, Kichererbsen et cetera
- Fette und Öle
- Vitamine und Mineralstoffe
- Kohlenhydrate wie Getreide
- Lebensmittelzusatzstoffe für Textur, Stabilität und längere Haltbarkeit
RUTF ist unglaublich wirksam darin mangelernährte Kinder zu retten. Das wurde durch strenge Forschungsarbeiten immer wieder nachgewiesen, und RUTF wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Standard für die ambulante Behandlung von schwer mangelernährten Kindern empfohlen. Insgesamt leiden etwa 19 Millionen Kinder unter fünf Jahren an SAM. Mit RUTF können wir diese Todesfälle verhindern und Kindern wie Achta eine Chance geben, das zu tun, was sie tun sollten – wachsen, lernen und spielen.
Was macht RUTF so besonders?
RUTF hat besondere Eigenschaften, die es ermöglichen, mehrere Herausforderungen zu meistern, mit denen andere Maßnahmen zur Behandlung von Mangelernährung zu kämpfen haben:
Herausforderung Nr. 1: Nahrungsaufnahme
Wenn ein Kind an SAM leidet, kann sein Körper keine normale Nahrung mehr verarbeiten. Der Versuch, es plötzlich zu ernähren, kann aufgrund einer Komplikation, die als Refeeding-Syndrom (RFS) bekannt ist, gefährlich und manchmal tödlich sein. Um dies zu vermeiden, muss die Nahrung sorgfältig zubereitet werden und bestimmte Vorgaben erfüllen. Mit RUTF sprechen jedoch neun von zehn Kindern gut auf die Behandlung an, verarbeiten die Nahrung sicher und genesen, bis sie wieder eine normale Ernährung vertragen. Ein weiteres Problem bei der Nahrungsaufnahme ist, dass Kinder mit SAM möglicherweise kein Interesse an Nahrung zeigen – ein häufiges Symptom von Mangelernährung. Manchmal haben sie zu wenig Energie, um eine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Die kleine Portionsgröße und der gute Geschmack von RUTF tragen dazu bei, dass die Formel für Kinder leicht zu essen und appetitlich ist.
Herausforderung Nr. 2: Lagerung
Der Transport und die Frischhaltung von Lebensmitteln kann eine große Hürde für die Behandlung von Kindern mit SAM darstellen – das gilt insbesondere in ländlichen Gemeinden oder Regionen mit extremen Temperaturen. RUTF ist zwei Jahre lang haltbar und muss auch nach dem Öffnen nicht gekühlt werden. Es wird in Einzeldosis-Folienbeuteln geliefert, die das Risiko einer Kontamination verringern und die Sicherheit und Gesundheit gewährleisten.
Herausforderung Nr. 3: Zugang zu Behandlungseinrichtungen
Vor der Einführung von RUTF erforderte die Behandlung von SAM immer einen mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt mit professioneller Ausrüstung und Überwachung, da die Formeln für die stationäre Behandlung von SAM mit Wasser gemischt werden müssen. Der Zugang zu sauberem Trinkwasser kann eingeschränkt sein, daher ist es für Kinder, die diese Art der Behandlung erhalten, unerlässlich im Krankenhaus zu bleiben, um sicherzustellen, dass die Formeln bakterienfrei bleiben. In vielen von Hunger und Mangelernährung betroffenen Gebieten gibt es jedoch nur wenige medizinische Einrichtungen. Die nächste Krankenhaus kann Hunderte von Kilometern von den Familien entfernt sein, sodass sie keine medizinische Versorgung in Anspruch nehmen können. Die wenigen, die die Reise antreten können, müssen andere Kinder, Nutztiere und Ernteerträge zurücklassen, was die Ernährung und das Einkommen eines ganzen Jahres gefährden kann.
RUTF ist die Lösung für die Behandlung von SAM in schwer erreichbaren Gebieten. Die gebrauchsfertige Formel muss nicht mit Wasser gemischt werden und kann sicher zu Hause verabreicht werden. Aktion gegen den Hunger arbeitet mit Gesundheitshelfer*innen zusammen, die in abgelegenen Gebieten leben und RUTF sowie Medikamente an behandlungsbedürftige Kinder verteilen können. Das erweitert den Wirkungsradius von Aktion gegen den Hunger erheblich und erhöht die Chancen, Leben zu retten.
Geschichte von RUTF
Aktion gegen den Hunger ist von Beginn an Pionierin in der Entwicklung innovativer Behandlungsmethoden für SAM. 1993 halfen wir bei der Entwicklung von F100, der ersten therapeutischen Milchformel zur Behandlung mangelernährter Kinder in Krankenhäusern. Nach einigen Jahren der Anwendung dieser Formel stellten unsere Teams in Somalia Verbesserungsmöglichkeiten im Behandlungsprozess fest. Dies führte zur Entwicklung von F75, einer Starter-Formel zur Behandlung von Kindern mit SAM und medizinischen Komplikationen. Ihr Hauptziel ist es, den Stoffwechsel und den Elektrolythaushalt des Kindes zu stabilisieren. Sobald das erreicht ist, kann das Kind auf F100 umgestellt werden, das ihm hilft, wieder ein gesundes Gewicht zu erreichen. Diese beiden therapeutischen Milchpulver wurden zum Goldstandard für die Behandlung von SAM und werden auch heute noch häufig in Krankenhäusern eingesetzt. Allerdings benötigten beide Formeln Wasser und professionelle Aufsicht, was bedeutete, dass viele Kinder mit SAM keine sichere Behandlung erhalten konnten. Daher entwickelten Wissenschaftler*innen 1996 die erste RUTF mit dem Namen Plumpy'Nut. Erste Studien ergaben, dass mindestens 90 Prozent der Kinder mit RUTF wirksam behandelt werden konnten. Mehr als 70 nationale Regierungen haben den Ansatz der gemeindenahen Behandlung akuter Mangelernährung (CMAM) unter Verwendung von RUTF übernommen.

Das Ziel von Aktion gegen den Hunger ist es nun, möglichst vielen Kindern mit SAM lebensrettende Nahrung zukommen zu lassen, unabhängig davon, wo auf der Welt sie sich befinden. Unsere Teams haben nach Möglichkeiten gesucht, wie magelernährte Kinder in schwer erreichbaren Gebieten behandelt werden können. In unseren Pilotstudien in Mali, Mauretanien, Niger, Kenia und Pakistan haben wir beispielsweise das Konzept der Gemeindegesundheitshelfer*innen eingeführt, die die Behandlung zu den Menschen bringen, anstatt die Patient*innen in die Kliniken kommen zu lassen. Die Pilotprojekte haben gezeigt, dass Gemeindegesundheitshelfer*innen schwer mangelernährte Kinder erfolgreich in ihren eigenen vier Wänden behandeln können, sodass eine zentrale Behandlung in einer Einrichtung nicht mehr erforderlich ist. Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt mehr als fünf Kilometer von der nächsten medizinischen Einrichtung entfernt, sodass Gemeindegesundheitshelfer*innen wie Janet Mwendo eine entscheidende Rolle in der Rettung von Kindern mit SAM spielen. Aktion gegen den Hunger setzt sich aktiv für diese lokalen Held*innen ein und erforscht ihre Arbeit. Im Jahr 2020 wurde unser innovatives Modell zur Bekämpfung von Mangelernährung, bei dem RUTF von Gesundheitshelfer*innen in den Haushalten eingesetzt wird, in den neuen Leitlinien der WHO zur Erkennung, Diagnose und Behandlung von Mangelernährung in Gemeinden übernommen.

Die erste Intervention von Aktion gegen den Hunger wurde 1979 ins Leben gerufen, um afghanischen Geflüchteten in Pakistan zu helfen.
Die Leitlinien der WHO aus dem Jahr 2020 haben auch teilweise modifizierte RUTF-Dosierungen übernommen, ein Thema, bei dem Aktion gegen den Hunger eine führende Rolle bei der Wissensvermittlung spielt. Im Rahmen eines Projekts namens ComPAS hat Aktion gegen den Hunger ein neues System zur Behandlung von mangelernährten Kindern entwickelt. Das neue System behandelt moderate Mangelernährung und schwere akute Mangelernährung nicht als zwei getrennte Erkrankungen, sondern als ein Spektrum, wodurch die Komplexität verringert und die Effizienz der Ressourcennutzung erhöht wird. Das ComPAS-Modell senkt die Kosten für die Behandlung von Mangelernährung um etwa zwölf Prozent, sodass mehr Mittel für die Rettung von Menschenleben zur Verfügung stehen.
Die Zukunft von RUTF
Vor 35 Jahren gab es keine gängige Heilung für schwere akute Mangelernährung. Heute haben wir RUTF, ein innovatives Produkt, das jedes Jahr Hunderttausende Leben rettet. Doch die Arbeit ist noch nicht getan. Mangelernährung ist für die Hälfte aller Todesfälle bei Kindern weltweit verantwortlich, und nur 25 Prozent der mangelernährten Kinder weltweit werden mit den derzeitigen Behandlungsmethoden erreicht. Leider sind die Kosten das größte Hindernis für die Behandlung. Weitere Innovationen sind unerlässlich, um RUTF kostengünstiger zu machen, damit wir mehr Kinder mit der lebensrettenden Behandlung versorgen können, die sie benötigen.
Eine Möglichkeit, wie Aktion gegen den Hunger daran arbeitet, ist die Zusammenarbeit mit RUTF-Herstellern wie Edesia Nutrition, um neue Produktformulierungen zu entwickeln und zu testen. Diese neuen Formulierungen, oder Novel RUTF, enthalten alternative Proteine als Ersatz für Milchpulver, den derzeit teuersten Inhaltsstoff in RUTF. Pflanzliche Proteine wie Soja und Mais sind mögliche Ersatzstoffe, die vor Ort leichter verfügbar und kostengünstiger sind als Milch. Wenn die Versuche erfolgreich sind, könnten die Kosten für RUTF gesenkt werden. Darüber hinaus würden durch die Verlagerung der Produktion in Länder mit unsicherer Ernährungslage die Transport- und Importkosten sinken. Mit den gleichen finanziellen Mitteln könnten mehr Kinder behandelt werden.

Nyibol Mathiang Deng, 27, und ihr Kind aus dem Sudan erhalten Energiekekse von Mary Anok Juac, die für Aktion gegen den Hunger arbeitet, nachdem sie am Grenzübergang Majok Yinthiou in Südsudan angekommen sind.
Aktion gegen den Hunger führt auch bahnbrechende Forschungen zu Mikrobiomen durch, um die Zahl der Kinder zu verringern, die in einem Teufelskreis wiederholter Mangelernährung gefangen sind. Bei 30 bis 50 Prozent der Kinder kann es zu einem Rückfall in die Mangelernährung kommen. Rückfälle sind häufig, da Mangelernährung die Darmgesundheit von Kindern nachhaltig schädigt und es ihnen selbst nach der Genesung schwer macht, ein gesundes Gewicht zu halten. Wenn wir RUTF mit wichtigen mikrobiellen Gemeinschaften verbessern können, könnten wir das Mikrobiom des Kindes während der SAM-Behandlung heilen und Rückfälle verhindern. Dies ist eine schwierige Aufgabe – Mikrobiome sind hochkomplex und regional sehr unterschiedlich –, aber das Potenzial, Leben zu retten, ist enorm. Wir arbeiten mit Mikrobiom-Expert*innen von OpenBiome zusammen, um Proben aus den weltweiten Standorten von Aktion gegen den Hunger zu analysieren und unser Verständnis von gesunden Mikrobiomen in von Mangelernährung betroffenen Regionen der Welt zu verbessern. Diese Informationen können als Leitfaden für die gezielte und effektive Verbesserung von RUTF durch mikrobielle Gemeinschaften dienen und so die Genesung und langfristige Gesundheit von Kindern fördern, die von SAM betroffen sind.
Das Ziel all unserer innovativen Arbeit ist es, die Möglichkeiten zur Vorhersage, Prävention und Behandlung von Mangelernährung zu verbessern, damit mehr Kinder ein gesundes und produktives Leben führen können. Je kostengünstiger und ganzheitlicher die RUTF-Behandlungen sind, desto mehr Gemeinden können von Hunger befreit werden.