Menschen in Somalia warten mit ihren Kanistern auf sauberes Wasser aus Wassertank.

Was bedeutet die Corona-Pandemie für die humanitäre Hilfe?

5 Fragen an eine Epidemiologin

Die Corona-Pandemie verbreitet sich mit rasender Geschwindigkeit um den Globus. Dieynaba N’Diayeist Epidemiologin bei Aktion gegen den Hunger. In unserem Interview antwortet sie auf die 5 wichtigsten Fragen, wie die Pandemie die humanitäre Hilfe beeinflusst und welche Auswirkungen das neuartige Virus auf unsere Arbeit in den Ländern des Globalen Südens hat. 

1. Sie sind Epidemiologin: Was ist Ihre Sicht auf COVID-19 und die Besonderheiten des Virus?  

COVID-19 ist eine besonders ansteckende Infektionskrankheit, die über Tröpfcheninfektion, aber auch über Oberflächen übertragen wird. Die Unterschiede zur Grippe sind die folgenden:  

  • Es besteht eine größere Ansteckungsgefahr.
  • Hohe Sterblichkeitsrate (2 bis 3 Prozent in der allgemeinen Bevölkerung, aber bis zu 8 Prozent bei den über 70-Jährigen). Auch bei Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, hohem Blutdruck oder Herzkreislauferkrankungen hat COVID-19 tendenziell schwerere Verläufe. 
  • Die Krankheit ist neu: Unsere Körper sind noch nicht gegen das Virus immunisiert. Bis dato gibt es weder einen Impfstoff zum Schutz vor Ansteckung noch ein geprüftes Heilmittel zur Behandlung der Krankheit. Es ist also sehr schwer, Menschen mit höherem Risiko zu schützen und zu behandeln.  

Das Virus hat noch eine weitere Besonderheit: Die letzten Studien aus China deuten darauf hin, dass rund 85 Prozent der infizierten Menschen gar nicht als solche erkannt wurden – wahrscheinlich, weil sie keine oder nur wenig Krankheitssymptome aufwiesen. Dass würde bedeuten, dass diese Menschen ansteckend waren und das Virus unwissentlich weiterverbreiteten. Diese ersten Studien basieren auf Schätzungen und es muss weiter dazu geforscht werden. Aber eins ist sicher: Gerade können wir nur wir die Spitze des Eisbergs sehen

2. Ist COVID-19 vergleichbar mit Epidemien wie Ebola oder Cholera? 

Erst einmal ist das Coronavirus eine Pandemie, das heißt eine Epidemie, die sich über die gesamte Welt ausgebreitet hat. Dadurch ist die Krankheit viel schwieriger zu bekämpfen. Die Ebola- und Cholera-Krisen sind Epidemien, da sie sich auf bestimmte Regionen der Welt beschränken. Bei Ebola sind die Krankheitssymptome sehr schlimm und einschränkend und die Erkrankten können ihr normales Leben gar nicht mehr weiterführen. Die meisten müssen im Bett bleiben oder im Krankenhaus behandelt werden. Durch die starken Symptome können die Fälle aber insgesamt sehr viel schneller erkannt und die Betroffenen sofort isoliert werden. Daher verbreitet sich die Krankheit nicht so rasch.

Das Coronavirus verursacht bei den meisten Infizierten keine oder nur wenige Symptome. Diese Menschen gehen nicht ins Krankenhaus, leben ihr Alltags- und Sozialleben weiter und übertragen das Virus nichtsahnend auf andere. 

Aktion gegen den Hunger hat sehr viel Erfahrung in der Bekämpfung von Epidemien gesammelt, zum Beispiel gegen Ebola in Ostafrika und gegen Cholera in Haiti und im Jemen. Jede Krankheit ist anders und die erforderliche Reaktion auf eine Cholera-Epidemie ist eine sehr andere als die auf die Corona-Pandemie. Unsere Expertise im Bereich Wasser und Hygiene ist jedoch auch für die Bekämpfung des Coronavirus zentral. In unseren Programmen in Geflüchtetenlagern und Gesundheitszentren weltweit schulen wir seit Jahrzehnten die Menschen gezielt in Hygienemaßnahmen und führen Programme zur Wasseraufbereitung und -versorgung durch. Der Bereich Wasser und Hygiene ist ein essenzieller Grundpfeiler im Kampf gegen COVID-19. 

 
 

 

3. Müssen wir eine schnelle Ausbreitung im Globalen Süden befürchten?   

Tatsächlich besteht eine große Gefahr, dass COVID-19 sich zum Beispiel in Afrika sehr schnell ausbreiten wird. Laut WHO sind momentan die am stärksten betroffenen afrikanischen Länder Südafrika, Algerien, Burkina Faso, die Elfenbeinküste und Senegal. Südafrika hat mit 1.4000 Infizierten die meisten Fälle, Algerien mit 35 offiziell an Corona verstorbenen Menschen die höchste Opferzahl.

Diese Zahlen sind aufgrund der hohen Dunkelziffer natürlich mit Vorsicht zu genießen, denn wir können davon ausgehen, dass es weit mehr Infizierte und auch einige nicht als solche erkannte Todesfälle gibt. Wir wissen noch nicht, auf welche Weise sich das Virus in Afrika ausbreiten wird. Wir wissen aber, dass in vielen Ländern die Gesundheitssysteme nicht gut genug aufgestellt sind, um auf einen großflächigen Corona-Ausbruch zu reagieren. Auch politische Instabilität kann eine koordinierte Reaktion auf die Pandemie erschweren. 

„Einige der Herausforderungen, die betroffene afrikanische Länder zu bewältigen haben werden, sind die gleichen wie in Europa: Sensibilisierung der Bevölkerung, Überlastung des Gesundheitssystems, Ausbau der Testkapazitäten.

Allerdings kommen noch zahlreiche weitere Faktoren dazu, die die Bekämpfung der Pandemie zusätzlich erschweren werden: Die Umsetzung erhöhter Hygienestandards ist schwieriger, denn in vielen Regionen gibt es keine richtige Wasserversorgung und eine schlechte sanitäre Infrastruktur. Durch die dichte urbane Besiedlung und Haushalte mit vielen Menschen unterschiedlicher Generationen sind Isolierung- und Quarantänemaßnahmen schwieriger durchzusetzen. Außerdem ist in vielen Gebieten eine genaue Diagnose der Krankheit erschwert, weil es mehrere häufige Krankheiten wie Malaria gibt, die ähnliche Symptome aufweisen.

4. Besteht für mangelernährte Menschen ein größeres Risiko? 

Es ist zu früh, um mit Sicherheit sagen zu können, dass Mangelernährung einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf von COVID-19 hat, da uns dazu wissenschaftliche Untersuchungen fehlen. Allerdings wissen wir, dass für mangelernährte Menschen generell ein größeres Risiko, sich mit Infektionskrankheiten anzustecken, da sie meist ein geschwächtes Immunsystem haben und anfälliger sind. Menschen, die an Hunger leiden, leben meist auch in einem sehr prekären Umfeld, mit keinem oder wenig Einkommen und einer schlechten Gesundheitsversorgung. Das trägt zusätzlich zu einem erhöhten Risiko bei. 

5. Was macht Aktion gegen den Hunger gegen das Coronavirus?  

Aktion gegen den Hunger hat einen Krisenstab eingerichtet, der unseren Einsatz gegen die Corona-Pandemie auf internationaler Ebene koordiniert. Wir beobachten die Situation in Bezug auf COVID-19 in unseren Projekten ganz genau und entscheiden auf dieser Grundlage über Nothilfe-Maßnahmen. Dabei kommt uns unsere langjährige Erfahrung als internationale Nothilfe-Organisation zugute. Unsere Teams verfügen über viel Know-How in der Vermittlung von Wissen, in der psychosozialen Betreuung von Menschen in Krisensituationen und in der direkten Arbeit mit den Gemeinden vor Ort. Wir haben außerdem viel Erfahrung im Krisenmanagement, eine starke Präsenz vor Ort und eine internationale Glaubwürdigkeit. 

Wir beobachten die Ausbreitung der Pandemie in unseren Einsatzländern genau. Mithilfe unserer Expert*innen erarbeiten wir Hilfsmaßnahmen für jedes betroffene Land, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen.

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15. APRIL 2020
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