Eine Helferin in Gaza macht Notizen.

Stimmen aus Gaza derer, die sich nicht offen äußern können

Dieser Artikel ist nicht unterzeichnet. Weil seine Autor*innen – humanitäre Helfende von Aktion gegen den Hunger in Gaza – sich nicht offen äußern können, ohne ihre Sicherheit zu gefährden.

Seit Oktober 2023 wurden in Gaza mindestens 540 humanitäre Helfende getötet, die meisten von ihnen Palästinenser*innen, die sich für ihre eigenen Gemeinschaften engagiert haben. Die folgenden Geschichten sind nicht nur Zeugenberichte – sie zeigen das Leben unserer Kolleg*innen, geprägt von Überleben und Widerstand angesichts unaussprechlicher Tragödien. Trotz Hunger, Erschöpfung, Not und Vertreibung – einige mussten in weniger als zwei Jahren 26-mal fliehen – arbeiten humanitäre Helfende weiterhin jeden Tag, um ihre Mitmenschen zu unterstützen und ihr humanitäres Mandat zu erfüllen.

Dieser Text ist eine Zusammenfassung ihrer Zeugnisse, die ursprünglich in Audioform veröffentlicht wurden. Er ist auch ein Akt des Widerstands: Er enthüllt, was geschieht, wenn alles und jede*r um sie herum ihr Schweigen zu verlangen scheint.

Zeugnisse humanitärer Helfender in Gaza

Jeder Morgen beginnt gleich. Ich wache mit dem Geräusch von Drohnen und Explosionen und einem leeren Magen auf. Als Erstes suche ich nach Mehl. Wenn ich Glück habe, finde ich welches, aber zu einem exorbitanten Preis. Selbst wenn ich es kaufe: Womit soll ich es zubereiten? Es gibt kein Gas. Es gibt keinen Strom. Es gibt kein sauberes Wasser. Es gibt nichts.

Dreimal wurde ich vertrieben. Ich bin innerhalb Gazas von Ort zu Ort gezogen, auf der Suche nach Sicherheit. Aber hier ist Sicherheit eine Illusion. Jeder Tag ist ein Kampf um Unterkunft, Nahrung und ums Überleben.

Wenn ich einen Platz zum Wohnen finde, kann das mehr als 1.500 Dollar (knapp 1.300 Euro, Anm. d. Red.) im Monat kosten. Um das zu bezahlen, brauche ich Bargeld, aber es gibt keine Banken. Geld abzuheben bedeutet, mehr als 40 Prozent an Gebühren zu verlieren. Und selbst wenn ich Geld hätte, was könnte ich damit kaufen? Wir leben in einer Hungersnot. Wenn ich die Bombenangriffe heute überlebe, werde ich hungrig und verängstigt schlafen und nicht wissen, was der Morgen bringen wird. Und um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob ich diese Aussage zu Ende aufnehmen kann, denn Bomben und Tod umgeben uns ständig. Ja, so ist das Leben hier in Gaza.

Angst und Unsicherheit sind allgegenwärtig. Jedes Mal, wenn eine Vertreibungsanordnung erlassen wird, überkommt mich Angst. Ich weiß nicht, was ich tun soll und wohin ich gehen soll. Die Ungewissheit lähmt mich. Sie ist jeden Moment des Tages präsent. Wir leben mit dem Gefühl, dass jede Entscheidung unsere letzte sein könnte.

Um Trinkwasser zu bekommen, müssen wir stundenlang warten. Manchmal sogar tagelang. Wir sind auf Wasserwagen angewiesen, die kommen, wenn sie können. Die psychische Belastung, die wir tragen, ist sehr, sehr groß. Dennoch bleiben wir unserer Mission verpflichtet. Weil wir auch Teil dieser betroffenen Gemeinschaft sind. Weil Hoffnung, so zerbrechlich sie auch sein mag, eine Form des Existierens ist.

Selbst die alltäglichsten Dinge haben sich verändert. Wir sind zu siebt zu Hause, und in meiner Tasse Tee ist nur ein halber Teelöffel Zucker. Ich bekomme nur ein kleines Stück Brot für den ganzen Tag: die Hälfte morgens, die andere Hälfte nach Feierabend. Das ist meine Ration.

Wenn ich von zu Hause zur Arbeit gehe, muss ich noch fünfzehn Minuten zu Fuß zum nächsten Ort laufen, wo ich vielleicht ein Transportmittel finde. Wenn ich Glück habe, gibt es ein Auto. Wenn nicht, muss ich ein Tuk-Tuk, einen Eselskarren oder ein anderes provisorisches Fahrzeug nehmen. Alle diese Optionen sind sehr unbequem und zeitaufwändig. So oder so muss ich fünfmal so viel bezahlen wie vor dem Krieg.

Die Energie des Teams lässt im Laufe des Tages nach. Meine auch. Wir fühlen uns schwindelig und schwach. Wie der Rest der Bevölkerung nehmen wir nicht genug Kalorien zu uns. Aber als humanitäre Helfer*innen können wir es uns nicht leisten, zusammenzubrechen. Wir müssen weitermachen. Nicht für uns selbst, sondern für unser Volk. Denn wenn wir aufhören zu helfen, wer wird es dann tun?

Es gibt keine Ruhepause. Es gibt keine Atempause. Aber wir machen weiter, weil es keine andere Möglichkeit gibt. Denn die Hilfe, die wir leisten, ist das Einzige, was zwischen Verzweiflung und Hoffnung steht. Und obwohl jeder Tag schwieriger wird, machen wir weiter. Weil wir einfach nicht aufhören können.

24. SEPTEMBER 2025
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