Eine Mutter hält schützend ihre Hände um ihr Kind.

Wie Mutter-Kind-freundliche Räume in Gaza Leben retten

Aliyas* Geschichte ist eine, die keine Ausnahme ist, sondern Realität. Sie steht für Zehntausende von Müttern in Gaza, die ihre Kinder aufziehen, während sie vertrieben, hungrig und erschöpft sind. Die keinen Zugang zu Unterstützungsangeboten haben, die normalerweise die Gesundheit von Müttern und Neugeborenen schützen.  

In Notfällen hängt das Überleben nicht nur von Nahrung, Wasser und Unterkunft ab, sondern auch von der Verfügbarkeit von Räumen, in denen Pflegekräfte ein Gefühl der Sicherheit, Wissen und Zuversicht geben können. Das ist der Zweck der Mutter-Kind-freundlichen Räume (Mother Baby Friendly Spaces) von Aktion gegen den Hunger. 

Aliyas Geschichte – basierend auf einer wahren Begebenheit 

Im Jahr 2024 wurde Aliya inmitten intensiver Gewalt schwanger. „Ich trug ihn [ihren Sohn, Anm.d.Red.] neun Monate lang“, sagt sie mit leiser Stimme und zeigt unter ihr Herz auf ihren Bauch, „als wir den Süden verließen und zurück in unser Viertel im Norden gingen.“ 

15 Stunden lang lief sie. Sie lief an Häusern vorbei, deren Wände durch Luftangriffe aufgerissen waren und in deren Trümmern Leichen lagen. Es gab keine Transportmittel, keine Lebensmittel, kein Wasser. Sie flüsterte sich selbst zu: „Oh mein Gott, ich schaffe es nicht.“ Und dann flüsterte sie erneut: „Aliya, du hast die Bomben nicht überlebt, um an Hunger und Durst zu sterben. Du hast nicht überlebt, um beim Laufen zu sterben.“ 

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In den folgenden Tagen begannen die Wehen. Im April 2025 brachte Aliya ihren Sohn per Kaiserschnitt zur Welt. Aber Basel war nur wenige Stunden alt, als er mit seiner Mutter die Station verlassen musste. Aliyas Bett war ein begehrter Platz in einem Krankenhaus in Gaza-Stadt, das mit Patient*innen überfüllt war. „Da stand ich nun und trug ihn wieder, aber diesmal in meinen Armen. Ich trug ihn aus dem Krankenhaus, während der Krieg weiter tobte und Schüsse über unsere Köpfe hinwegflogen.“ 

Basel unter diesen Bedingungen großzuziehen, schien unmöglich. Ihr Zelt war überflutet; mehrere Zentimeter Regenwasser hatten sich auf dem Boden angesammelt. Basels erste Kleidung bestand aus Stoffstreifen, die Aliya zusammengebunden hatte. Während der Hungersnot im Norden verlor Basel so viel Gewicht, dass Aliya um sein Leben fürchtete. Innerhalb weniger Monate schrumpfte Aliyas Leben mit Basel auf ein Leben in einem Zelt, umgeben von Abwasser, Müll und Insekten, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Basel war das erste Kind, bei dem sie das Gefühl hatte, versagt zu haben – nicht aus Mangel an Liebe, sondern weil die Umstände des Krieges einfach zu stark waren. 

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Der Besuch des Mutter-Kind-Raumes von Aktion gegen den Hunger veränderte jedoch etwas in Aliya. „Wenn ich hierherkomme“, sagt Aliya, „fühle ich mich sicher. Ich habe das Gefühl, dass es jemanden gibt, der sich um uns kümmert und uns seine Aufmerksamkeit und Zeit schenkt.“ Wenn Aliya nun vom Mutter-Kind-freundlichen Raum nach Hause zurückkehrt, kann sie mit ihrem Sohn spielen. „Diese Sitzungen geben mir die Kraft, die ich brauche, um weiterzumachen.“ 

Der Mutter-Kind-freundliche Raum in Gaza mit Mitarbeitenden von Aktion gegen den Hunger im Eingang.
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Der Mutter-Kind-freundliche Raum von Aktion gegen den Hunger. Eine Mitarbeiterin und ein Mitarbeiter stehen davor und empfangen Mütter, Betreuungspersonen und ihre Kinder.

Aliyas Wunsch ist einfach: „Ich möchte Sicherheit für meine Kinder. Ein sauberes Zelt. Kleidung für mein Baby. Einen Ort, an dem meine Kinder nicht aufgrund ihrer Umgebung krank werden. Ich möchte, dass mein Sohn gesund aufwächst und ein besseres Leben hat als dieses – ein Leben ohne Gewalt, ohne den ständigen Kampf ums Überleben, ohne Hunger.“ 

Warum Mutter-Kind-freundliche Räume wichtig sind 

In Krisensituationen wie im Gazastreifen sind Säuglinge und Kleinkinder dem höchsten Risiko für Krankheiten, Unterernährung und Entwicklungsverzögerungen ausgesetzt. Gleichzeitig leiden die Betreuungspersonen unter extremem Stress, Traumata, können oft nicht durchgängig stillen und haben stark eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsdiensten – Bedingungen, die sich direkt auf das Überleben und die Entwicklung von Neugeborenen auswirken. Mutter-Kind-freundliche Räume sollen diesen Kreislauf durchbrechen, indem sie eine sichere, freundliche Umgebung bieten, in der Betreuungspersonen und Babys spezielle Unterstützung erhalten können. 

„Die Bedürfnisse der Frauen sind vielfältig. Wir versuchen so gut wie möglich, das zu bieten, was benötigt wird – Hygiene-Sets, psychosoziale Unterstützung, kinderfreundliche Räume. Viele der Mütter befinden sich in extrem schwierigen Situationen, die wir durch das Angebot dieser Dienste zu lindern versuchen, insbesondere im Norden, wo die Vorräte begrenzt sind.“

Ernährungsberaterin von Aktion gegen den Hunger in Gaza-Stadt

Verbesserte Ernährungspraktiken und Ernährung für Säuglinge 

Durch individuelle Beratung werden Mütter dabei unterstützt, auch unter schwierigen Bedingungen erfolgreich zu stillen. In Gaza haben Betreuungspersonen nur sehr eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsversorgung; sie sind oft von sozialen Netzwerken abgeschnitten, haben nur begrenzten Zugang zu Informationen und finden in überfüllten Gemeinschaftsunterkünften keine Privatsphäre und die notwendige Routine zum Stillen. Mutter-Kind-freundliche Räume bieten Müttern sowohl einen festen Ort als auch Zeit, um praktische Techniken zu erlernen – und sich gegenseitig beizubringen –, mit denen sie die Milchproduktion steigern, sichere Beikost geben und häufige Ernährungsrisiken in Notfällen vermeiden können. 

Seit der Einführung der Mutter-Kind-freundlichen Räume von Aktion gegen den Hunger im März 2025 haben unsere Teams fast 10.000 Mütter und Betreuungspersonen erreicht. So schaffen es mehr und mehr Mütter, trotz der widrigen Umstände, ihre Kinder in den ersten Lebensmonaten ausschließlich zu stillen. Stillen kann Mangelernährung verhindern und trägt dazu bei, dass sich ein Kind sowohl körperlich als auch kognitiv gesund entwickeln kann. Akute Unterernährung kann frühzeitig erkannt werden und eine eventuell notwendige Behandlung kann schneller erfolgen. 

Weniger Stress für Mütter und mehr Wohlbefinden für Betreuungspersonen

Peer-to-Peer-Unterstützungssitzungen, psychosoziale Gruppensitzungen und Sensibilisierungssitzungen helfen Müttern, mit Traumata umzugehen, und vermitteln ihnen die Bedeutung des psychischen Wohlbefindens von Kindern. „Die Mütter und Betreuungspersonen sagen uns oft, dass sie mehr solcher Sitzungen brauchen, weil sie ihnen eine Pause von dem psychischen Druck verschaffen, dem sie durch Gewalt und Blockaden ausgesetzt sind“, berichtet die Ernährungsberaterin. Eine ruhigere, besser unterstützte Betreuungsperson wirkt sich direkt auf die Ernährung und Entwicklung eines Kindes aus. Mütter berichten, dass sie sich gesehen und geschätzt fühlen und mehr Selbstvertrauen in der Betreuung ihrer Säuglinge haben.

Geschulte Mitarbeitende von Aktion gegen den Hunger überwachen das Wachstum, achten auf Warnzeichen und informieren Mütter darüber, wie sie frühe Symptome von Krankheiten oder Unterernährung erkennen können. In den schwersten Fällen bringen sie den Müttern bei, wie sie selbst den Oberarmumfang messen können – beispielsweise in Gaza, wo die Zwangsumsiedlungsbefehle Israels und die Angriffe auf Krankenhäuser die Möglichkeit der Betreuungspersonen beeinträchtigten, Gesundheitskliniken oder -einrichtungen zu erreichen. Mutter-Kind-freundliche Räume dienen oft als erste Anlaufstelle für die medizinische Versorgung von Säuglingen.  

Wenn die Zahl der Fälle von Unterernährung hoch ist, erstellen unsere Teams einen Zeitplan, um sicherzustellen, dass die Frauen zu einer für sie günstigen Zeit und an einem für sie günstigen Ort Unterstützung erhalten können.

Vor allem aber schaffen Mutter-Kind-freundliche Räume ein Umfeld, in dem Mütter und Betreuungspersonen aller Art dabei unterstützt werden, ihre Kinder in Krisenzeiten bestmöglich zu versorgen. Es ist ein Ort, an dem Mütter und Betreuungspersonen Fragen stellen, Ängste teilen und ihr Selbstbewusstsein wieder aufbauen können. „Frauen müssen mehr Gehör finden, und wir versuchen, das zu erreichen. Wir möchten, dass sich jede Frau wertgeschätzt fühlt“, sagt die Ernährungsberaterin. In Gaza, wo Familien mehrfach gewaltsam vertrieben wurden, die Unterkünfte überfüllt sind und bei Regen überflutet werden und das tägliche Überleben – selbst während einer Waffenruhe – ständige Wachsamkeit erfordert, retten die beständigen Mother Baby Friendly Spaces tatsächlich Leben.

*Der Name wurde aus Gründen der persönlichen Sicherheit geändert. 

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15. DEZEMBER 2025
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